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Skiffle, Schlurfs und Skandale

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Im dreiteiligen Buchprojekt Im Puls der Nacht spannt skug-Chefredakteur Heinrich Deisl einen Bogen von der «guten alten» Kaiserzeit bis heute und zeigt popkulturell bedeutsame Stationen und Locations in Wien auf. Im Puls der Nacht ist ein alternativer Kulturgeschichte-Soundtrack, der sich im letzten Jahr erschienenen ersten Band aus dem Art Club, dem «Herrn Karl» und der Informellen Gruppe, dem Strohkoffer, Filmen wie The Sound of Music und Schamlos und der Musik von Max Brand, Anton Karas und der Worried Men Skiffle Group zusammensetzt. Für diesen kleinen Einblick in das Buch hat Deisl Teile über Wiener Poptheorie und über Novak’s Kapelle kompiliert.

Steffl Diele, ca. 1943. Archiv, Foto: Klaus Schulz

Steffl Diele, ca. 1943. Foto: © Archiv, Klaus Schulz

Popinterventionen in Wien

Noch immer verstellt die medial allgegenwärtige klassische Musiktradition Wiens den Blick auf seine sub- und popkulturellen Phänomene. Das Erbe der Ersten und Zweiten Wiener Schule ist weiterhin derart gewichtig, dass es in der internationalen Betrachtung die populärkulturell relevante Musikproduktion schlicht ver- und zudeckt.

Avancierte Pop-Ansätze in der Zwischenkriegszeit – Musikkabarett, Jazz – waren ab 1934 radikal unterdrückt worden. Und die offene Phase unter der alliierten Besatzung zwischen 1945 und 1955 wurde durch den rigiden Kulturkonservativismus des darauf folgenden Jahrzehnts wieder zurückgenommen. Erst mit dem «Schnulzenerlass» durch den ORF-Intendanten Gerd Bacher wurde 1968 internationaler Pop in Österreich konsensfähig. Mit der Arena-Besetzung 1976 als verspäteter «Summer of Love» als letzte Vorphase und durch Falcos «Rock me Amadeus» als Konsolidierung war schließlich auch Wien im Lande Pop angelangt und konnte an seiner popkulturellen Traditionsbildung arbeiten.

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Die Worried Men Skiffle Group

Die Worried Men Skiffle Group

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Bereits in der Zwischenkriegszeit hatte es in Wien rebellische Jugendgruppen gegeben, nämlich die «Schlurfs», die Arbeiterjugendliche waren, und die «Swings» mit einem weitestgehend gutbürgerlichen Hintergrund. Um als verdächtig zu gelten, war es seit der Zeit des «Anschlusses» ausreichend gewesen, statt eines zackigen «Sieg Heil» ein lockeres «Swing Heil» auf den Lippen zu führen. Hier lässt sich eine frühe Form der gegenseitigen Kenntlichmachung subkultureller Codesysteme festmachen.

Wiener Schlurfs der 1930er-Jahre

Wiener Schlurfs der 1930er-Jahre

Wiener Schlurfs der 1930er-Jahre

In den 1930er Jahren wurde auf popkultureller Ebene das multiethnische Erbe der Kaiserzeit abgewürgt und als filmische Adaption nach Hollywood transferiert. Während des Kalten Kriegs kam dieser einst bedeutende zentraleuropäische Austausch praktisch komplett zum Erliegen. Wien verlor durch die Barriere des Eisernen Vorhangs seinen Status als mitteleuropäischer Achsenpunkt und bis 1989 war die Stadt weniger ein Tor zum Osten als vielmehr die «östlichste» Metropole Westeuropas. Diese «Randlage» wurde dadurch verstärkt, dass man sich in den fünfziger Jahren aus Staatsraison der von den Nationalsozialisten missbrauchten Genres zwischen Wiener Klassik und Operette für Umdeutungen, Auslöschungen oder Weglassungen der jüngsten Vergangenheit bediente.

Die enge geistige und kulturelle Atmosphäre der fünfziger und sechziger Jahre provozierte geradezu subversive Erscheinungen wie den Wiener Aktionismus als die bislang heftigste künstlerische Artikulation der Nachkriegszeit. Erst mit der politischen Zäsur der Kreisky-Ära ab 1970 wurde wieder versucht, an das vor allem von jüdischen Intellektuellen aus den Kronländern geprägte soziokulturelle und bildungsbürgerliche Erbe Österreichs des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts anzuschließen.

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Musiker der Steffl Diele, ca. 1944. Foto: © Archiv Klaus Schulz

Musiker der Steffl Diele, ca. 1944. Foto: © Archiv Klaus Schulz

Bemerkenswert ist, dass dieser Schwenk zu jener Zeit passierte, als die Utopien und Desillusionierungen des Mai ’68 in der gesellschaftlichen Realität ankamen: Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg, Gründung der RAF, aber auch von Greenpeace, Auflösung der Beatles und die Todesfälle von Jimi Hendrix, Janis Joplin, Brian Jones und Jim Morrison. Dazu kommen aus österreichischer Perspektive die Arena-Besetzung, die Volksabstimmung gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf (1978) und die Besetzung der Hainburger Au (1984/85). Drei Ereignisse, die, abgesehen von den Besetzungen des WUK, dann der Gasser- und der Aegidi-/Spalowskygasse, das in zivilen Ungehorsam noch weitgehend ungeübte Österreich in seinen Grundfesten erschüttern sollten.

Während Post-Punk, New Wave und Hardcore in Großbritannien und den USA von neokonservativen Wirtschaftsbedingungen (Thatcherism/Reaganomics) geprägt waren, konnte Österreich von der vergleichsweise Popkultur-affinen Politik durch Bruno Kreisky und Wiens Bürgermeister Helmut Zilk (1984–94) breitenwirksam profitieren. Wahrscheinlich führte genau dieser sozialdemokratisch entschärfte Liberalismus dazu, dass Wiener Punk und New Wave eine vergleichsweise weit weniger sozialrevolutionäre Sprengkraft entwickelte – oder besser: entwickeln musste. Diese Sprengkraft hatte sich in den mittleren und späten Sechzigern mit aktionistischen Statements entladen, wie sie in ihrer Radikalität nicht einmal zwischen 2000 und 2003 durch die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ provoziert werden konnten. Wie die angloamerikanischen Beispiele zeigen, kam aber aus politischer Sicht die Vienna Electronica also nicht von ungefähr.

Im Zenit: Novak’s Kapelle

Die prägendsten Rock-Erschütterungen jener Zeit hinterließ die von 1967 bis 1980 aktive Band Novak’s Kapelle. Ihr psychedelisch aufgeladener, räudiger Proto-Punk galt als heimische Antwort auf Iggy & The Stooges. Sie standen in dem Ruf, die skandalträchtigste Band des Landes zu sein, wegen ihrer außergewöhnlichen Live-Shows wurden sie vom Szeneclub Atrium als Hausband engagiert und spielten bei der Eröffnung des VoomVoom.

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Ende Jänner 1969 traten Novak’s Kapelle in der ORF-Sendung «Countdown» mit ihrer kurz vorher veröffentlichten Debüt-Single «Hypodermic Needle» auf, umrahmt von einer rauschhaften Performance. Gegen Schluss bewegen sich die Tänzerinnen in einem Ambiente, bei dem unbestimmt bleibt, ob es sich um einen Vulkanausbruch, eine Atombombenexplosion, einen Brunnen oder um ein sonstiges, auf jeden Fall sexuell konnotiertes Bild handelt.

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«Als wir ‹Hypodermic Needle› im Konzerthaus aufnahmen, hat es Novak’s Kapelle erst gut drei Monate gegeben», erzählt Peter Travnicek, Mitbegründer, Bassist und Grafiker der Band. «Wir haben die Musik für die beiden Single-Seiten in drei Stunden reingehämmert, es gab praktisch keine Überspielungen. Die Konzerte waren durchdesignte Happenings mit Lichtshow und Einlagen. In der Nachkriegszeit haben die Leute aufgebaut und wir haben uns gebärdet. Zu unseren Konzerten sind bis zu fübnfhundert Leute gekommen, aber wenn wir in Österreich auf Tour waren, mussten wir bei Bekannten übernachten, weil uns kein Hotel genommen hat, so wie wir aussahen und drauf waren.»

Während «Hypodermic Needle» Heroinkonsum thematisierte und «Doing That Rhythm Thing» auf der B-Seite eindeutig zweideutige Anspielungen machte, konnte man «Smile Please» auf der Nachfolge-Single (1969) als Gewaltagitation gegen Polizisten verstehen. Der ORF sah es so und setzte die Nummer auf die Schwarze Liste. «Für uns war das ja Lyrik, nicht Realität», so Travnicek. «Damals war die Polizei eine Kraft. Wenn etwas los war, sind sie mit der ‹Grünen Minna› und ihren Stahlhelmen ausgerückt wie in den vierziger Jahren.»

Zu einem Festival in Köln 1969 waren neben The Kinks, Soft Machine und Deep Purple auch Novak’s Kapelle eingeladen. Als ob es sich um einen von Malcolm McLaren eingefädelten Coup gehandelt hätte, sorgten die Novak’s für ein Desaster: Sie mussten mit ihren eigenen Verstärkern spielen, die Travnicek zufolge im Vergleich zu den anderen Bands vollkommen unterdimensioniert waren und man sich so nicht adäquat hätte präsentieren können. Kurzerhand trat die Band von der Bühne ab und ließ ihre Roadies weiterspielen. Das Publikum bewarf die Ersatz-Novak’s mit Flaschen und der Veranstalter kappte die Stromzufuhr. Quasi als Draufgabe zündeten Novak’s Kapelle dann auch noch eine Union-Jack-Flagge an, was zu gehörigen Querelen mit den britischen Festival-Bands führte. In einem TV-Interview von 1977 antwortete Sänger Walla Mauritz auf die Frage, was sie mit ihrer Musik ausdrücken wollten: «Ausdrücken woll’ ma nix. Das einzige, was ich je in meinem Leben ausdrücken wollte, ist ein Wimmerl».

1971 wurden Aufnahmen für die Debüt-LP gemacht. Allerdings zog Ariola den Deal zurück und die Aufnahmen verschwanden in den Archiven. Zusätzlich zum Line-Up waren Padhi Frieberger (The Slaves) am Schlagzeug und Thomas Nordegg (The Hards) am Bass engagiert worden. Eine Platte, die Travnicek als «totalen Auswurf» bezeichnet. (Die offiziell nie herausgebrachten Debüt-Platten von The Slaves und von Novak’s Kapelle gelten als Mythos österreichischer Underground-Musik, und seit Jahren kursieren Gerüchte um deren Veröffentlichung.)

In der Folge wurden die EPs Novakskapellelive (1977) und Brennmaterial für die 80er (1979) sowie ihre einzige LP Naked (1978) veröffentlicht, 1980 löste sich die Band auf. Rock war da schon längst nicht mehr das Gebot der Stunde, wenn es bereits Post-Punk (Hotel Morphila Orchestra), Industrial (Monoton), Hardcore (Extrem), New Wave (The Vogue) oder Disco (Supermax) gab. Gemessen an den österreichischen Verhältnissen, waren sie dermaßen zukünftig, dass ein Weitermachen oder gar eine Wiedervereinigung nur die eigene Mythenvernichtung bedeutet hätte. Mit Novak’s Kapelle war das «Böse-Buben»-Image des Rock auch in Österreich aufgeschlagen, und sie waren es, die diesen Mythos zu seinem abschließenden Höhepunkt brachten.

Rock'n'Roll-Mythos: Eine der 1969 «heissesten» Bands des Landes spielt als Weihnachtskonzert in der Wiener Frauenstrafanstalt Schwarzau.

Rock’n’Roll-Mythos:
Eine der 1969 «heissesten» Bands des Landes spielt als Weihnachtskonzert in der Wiener Frauenstrafanstalt Schwarzau.

Heinrich Deisl: Im Puls der Nacht. Sub- und Populärkultur in Wien, Bd. I: 1955-1976. Mit einem Vorwort von Didi Neidhart, Wien: Turia + Kant, 2013. 236 Seiten.

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Der Text ist erstmalig erschienen im Journal für Musik Skug #93, 1-3/2013.


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